Baseline statt Blackout – Warum exzellentes Training nicht ins Mittelmaß führen darf
Baseline statt Blackout – Warum exzellentes Training nicht ins Mittelmaß führen darf
Von Dennis Ellrich – Atlas Solutions Protection and Training GmbH
„You do not rise to the level of your expectations. You fall to the level of your training.“
– Archilochos, griechischer Soldat und Dichter
Zwischen Mythos und Realität
In sicherheitsrelevanten Fachkreisen hält sich hartnäckig eine These, die bei näherer Betrachtung mehr Schaden als Nutzen anrichtet:
„In der Stresssituation rufen wir nicht unser bestes, sondern unser schlechtestes Training ab.“
Was ursprünglich als Warnung gemeint war, wird häufig falsch verstanden – und mündet allzu oft in einer gefährlichen Denkweise: Egal wie hart ich trainiere – am Ende versage ich im Ernstfall sowieso.
Das ist nicht nur demotivierend, sondern realitätsfern.
Denn wer richtig trainiert – strukturiert, regelmäßig, praxisorientiert und unter realen Bedingungen – baut sich eine Baseline auf, die im Einsatz abrufbar ist. Eine Basis, auf die man sich verlassen kann. Eine Konstante unter Chaos. Und diese Baseline ist keineswegs schlecht – im Gegenteil: Sie entscheidet über Leben und Tod.
Training unter realitätsnahen Bedingungen – kein Luxus, sondern Pflicht
In der Ausbildung von Einsatzkräften – ob im behördlichen Bereich (Polizei, Militär, Rettungskräfte) oder im privaten Sektor (Personenschutz, bewaffneter Objektschutz, Interventionskräfte) – geht es längst nicht mehr nur um isolierte Fertigkeiten. Es geht um komplexe Fähigkeiten unter dynamischer Belastung.
Hierzu zählen unter anderem:
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Kognitive Entscheidungsfähigkeit unter Zeitdruck
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Körperliche Leistungsfähigkeit unter Erschöpfung
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Kommunikationsfähigkeit bei hohem Lärm- und Stresspegel
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Waffenhandhabung bei Adrenalin, Dunkelheit, und eingeschränkter Sicht
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Situationale Wahrnehmung (SA – Situational Awareness) in unübersichtlichen Lagen
Ein Training, das diese Faktoren nicht regelmäßig simuliert, produziert keine belastbare Baseline. Es produziert Schauspieler – keine Schutzprofis.
Ad hoc von 0 auf 100 – Was es wirklich bedeutet
Szenarien wie ein aktiver Bedrohungslage, ein Überfall auf eine Schutzperson oder ein Amoklauf im öffentlichen Raum erfordern, dass Einsatzkräfte ohne Vorwarnung, ohne Aufwärmphase, ohne mentale Vorbereitung in Aktion treten – und fehlerfrei handeln.
Das bedeutet:
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Waffe ziehen, korrekt bedienen, Ziel identifizieren, prüfen, ob ein Schuss rechtlich gedeckt und taktisch notwendig ist
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Umgebung analysieren, Dritte absichern, Fluchtrouten erkennen
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Kommunikation mit Team oder Dritten aufrechterhalten
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Eigene Herzfrequenz unter Kontrolle bringen
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Klar denken – und schnell entscheiden
Hier entscheidet nicht der Wille, sondern das Training.
Baseline = Mindestergebnis unter Druck
Der Begriff „Baseline“ bezeichnet den durchschnittlichen Leistungsstand, den eine Einsatzkraft auch unter erschwerten Bedingungen reproduzieren kann.
Er ist das leistbare Minimum, wenn alles schiefläuft – Stress, Müdigkeit, Verletzung, Panik, Chaos.
Eine gut ausgebildete Kraft hat folgende Eigenschaften:
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Sie verliert nicht die Kontrolle.
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Sie denkt klar, entscheidet entschlossen.
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Sie trifft (im Schuss wie in der Entscheidung).
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Sie funktioniert – auch ohne Vorwarnung.
Das bedeutet: Die Baseline ist nicht das Schlechteste, was jemand leisten kann – sondern das Stabilste.
Fachliche Ableitung: Warum die „schlechteste Performance“-These gefährlich ist
Die eingangs genannte Behauptung widerspricht modernen Erkenntnissen aus der Trainingspsychologie, der Neurobiologie und der Taktik-Lehre. Studien (z. B. aus dem Bereich der Stressforschung, der Kognition unter Extrembelastung und der Behavioral Conditioning) zeigen:
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Menschen rufen im Ernstfall nicht ihr schlechtestes Training ab –
sondern das am besten konditionierte Verhalten. -
Das Gehirn greift bei hoher kognitiver Belastung bevorzugt auf automatisierte Routinen zurück, um Reaktionsgeschwindigkeit zu erhöhen.
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Wer regelmäßig unter Druck trainiert, verschiebt seine Baseline nach oben – weg von Panik, hin zu Performance.
Fazit: Die Baseline ist das neue Elite-Level
Die These, unter Stress nur das „Schlechteste“ abrufen zu können, entwertet Training und demotiviert Einsatzkräfte. Sie mag als Warnung gemeint sein – ist aber faktisch falsch, psychologisch gefährlich und fachlich irreführend.
Stattdessen gilt:
Train hard – fight easy.
Trainiere nicht, bis du es richtig machst. Trainiere, bis du es nicht mehr falsch machen kannst.
Eine solide, hohe Baseline entsteht durch:
✔ Wiederholung unter Belastung
✔ Fehlerkultur und Reflektion
✔ körperliches wie mentales Training
✔ simulationsbasierte Szenarien
✔ eine professionelle Ausbildungskultur
Dennis Ellrich
Geschäftsführender Gesellschafter der Atlas Solutions Protection and Training GmbH
Schwerpunkt Personenschutz, taktische Ausbildungen
www.atlas-community.eu
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