Das Thema „Schießausbildung“ ist in Deutschland besonders sensibel, da es hier nicht nur um technische Fähigkeiten geht, sondern auch um rechtliche, ethische und psychologische Aspekte. Beginnen wir mit der Definition von bewaffneten Einsatzkräften in Deutschland:
Bewaffnete Einsatzkräfte in Deutschland umfassen Polizei, Bundeswehr, Zoll und private Sicherheitsdienste, die besondere Genehmigungen für den Waffeneinsatz haben. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern dürfen nur explizit autorisierte Einheiten in Deutschland Waffen führen, und das auch nur unter strengen Auflagen und gesetzlichen Bestimmungen. Diese Kräfte sind nicht nur durch Schießfertigkeiten gefordert, sondern müssen sich auch umfassend mit rechtlichen Grundlagen und der Verhältnismäßigkeit von Gewaltanwendung auskennen.
Was brauchen Einsatzkräfte wirklich? Realität oder Fancy Training?
Hier zeigt sich oft ein Graben zwischen realitätsnahen, funktionalen Trainings und dem, was ich als „Gucci-Prada-Getue“ bezeichne. Einsatzkräfte brauchen praxisnahes Training, das auf Situationen abzielt, die sie im Dienst tatsächlich erleben könnten: Schießen in Bewegung, unter Stress, in Teams und in unübersichtlichen Lagen. Das ist nicht vergleichbar mit Wochenend-Seminaren, die mehr Wert auf Instagram-taugliche Fotos als auf realitätsnahe und handlungssichere Fähigkeiten legen.
Verhältnismäßigkeit und Rechtsgrundlagen
Einer der wichtigsten Aspekte für Einsatzkräfte in Deutschland ist die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Kann jemand aus einer militärischen Spezialeinheit Polizisten realitätsnah trainieren? Das ist eine harte These, die sich oft stellt. Militärische Spezialeinheiten operieren unter anderen Regeln, sie sind auf offensive Taktiken trainiert und haben meist nicht die juristischen Einschränkungen wie die Polizei. Die Frage ist also, ob ein solcher Trainer wirklich die nötige Sensibilität für die rechtlichen Grundlagen und Verhältnismäßigkeitsanforderungen eines polizeilichen Einsatzes mitbringt. Der Fokus der Polizei liegt auf Deeskalation und der Minimierung von Schäden, wohingegen militärische Spezialeinheiten häufig auf direktere Aktionen trainiert sind. Ohne einschlägige Erfahrung im Polizeidienst könnte es schwierig sein, die Ausbildung so anzupassen, dass sie nicht nur technisch, sondern auch rechtlich und ethisch korrekt ist.
Sportschützen vs. Einsatzkräfte
Ein weiteres Missverständnis tritt oft bei Sportschützen auf. Warum denkt ein Sportschütze, dass er mit einer Einsatzwaffe gleich agieren kann wie mit seiner modifizierten Sportwaffe? Die Antwort liegt in der Anwendungsrealität. Sportschützen trainieren in kontrollierten Umgebungen, mit optimierter Ausrüstung und auf Leistung fokussiert. Einsatzkräfte müssen jedoch in unkontrollierten, oft hochstressigen Situationen agieren, in denen nicht nur das technische Können zählt, sondern auch die Fähigkeit, in Sekundenbruchteilen Entscheidungen zu treffen. Das Training von Einsatzkräften sollte diese psychologischen Stressfaktoren und die Nutzung von Standardwaffen unter realen Bedingungen simulieren.
Automatisierte Reaktionen in Bedrohungslagen
Psychologisch gesehen, spielt das Prinzip der Automatisierung in extremen Bedrohungslagen eine entscheidende Rolle. Menschen in extremen Stresssituationen greifen oft auf automatisierte Handlungsabläufe zurück, die in Trainingseinheiten tief verankert wurden. Hierzu gibt es relevante Studien:
- Studies in Combat Stress Responses (Grossman, 2008): Diese Untersuchung zeigt, dass unter Hochstressbedingungen über 70% der Menschen in automatisierte Handlungsabläufe verfallen, die sie durch intensives Training erworben haben. Training, das unter möglichst realitätsnahen Bedingungen erfolgt, ist daher essenziell, damit diese Automatismen im Ernstfall auch korrekt ausgeführt werden.
- The Role of Stress in Critical Incident Decision-Making (Driskell, Salas, & Johnston, 1999): Diese Studie belegt, dass Entscheidungen unter Stress stark von vorbereitenden Trainingseinheiten beeinflusst werden. Teilnehmer, die mit realistischen Stressfaktoren trainiert wurden, zeigten signifikant bessere Entscheidungsfindungen unter lebensbedrohlichen Bedingungen als Teilnehmer, deren Training nur auf technische Fähigkeiten fokussiert war.
Fazit:
Bevor ihr Trainings bucht, solltet ihr euch fragen: Was ist das Ziel? Ein Wochenende, an dem ihr euch wie ein Elitekämpfer fühlt und tolle Fotos für die sozialen Medien mitnehmt? Oder wollt ihr Training, das euch und eure Kollegen auf den Ernstfall vorbereitet, bei dem es um euer Leben oder das der Bürger geht? Schießtraining ist kein Freizeitspaß – es geht darum, in Extremsituationen richtig und sicher zu handeln.
Ergänzung: Was oft vergessen wird, ist der psychologische Aspekt des Nachtrainings. Ein intensives Nachbesprechen und die kontinuierliche Reflexion nach realitätsnahen Szenarien sind unabdingbar, um das Gelernte tief zu verankern.
Kapitel: Schießausbildung – Ein Interview mit Dennis Ellrich
Matthias (Social Media Abteilung, Atlas Solutions): Dennis, in der Schießausbildung sehen wir oft beeindruckende Videos auf Social Media – alles läuft reibungslos, schnelle Magazinwechsel, präzise Schüsse, keine Fehler. Wie realistisch ist das im echten Einsatz?
Dennis: Ganz ehrlich, das hat mit der Realität oft wenig zu tun. Diese Best-Practice-Videos sind natürlich super anzusehen, aber die eigentlichen Herausforderungen werden da nicht gezeigt. Im realen Einsatz oder im echten Training passieren ständig Fehler. Das fängt schon bei simplen Dingen an, wie ob die Magazintasche richtig sitzt. Was passiert, wenn das Magazin unter Stress zu Boden fällt? Kommst du unter Adrenalin überhaupt an deine Einsatzmittel? Ein Magazinwechsel, der auf dem Schießstand super schnell geht, dauert plötzlich ewig, wenn der Puls auf 180 ist. Da kann es passieren, dass jemand in die Feuerlinie läuft, sich selbst oder seine Teammitglieder behindert. Solche Fehler passieren ständig, deshalb ist praxisnahes Training so wichtig.
Matthias: Du hast ja schon mit vielen Anwärtern zu tun gehabt, die in der Ausbildung Schwierigkeiten haben. Was sind die typischen Probleme?
Dennis: Viele unserer Teilnehmer sind bei der Bundespolizei und haben Schwierigkeiten, ihre Kontrollübung zu bestehen. Diese Übungen haben oft nichts mit der Realität zu tun – es geht um das Abarbeiten einer Reihenfolge unter Prüfungsstress, aber es gibt keine Todesangst, kein Gegenfeuer. Trotzdem scheitern viele an diesen Prüfungen, weil sie den Ablauf nicht verinnerlicht haben. Stell dir vor, sie schaffen es schon unter Prüfungsstress nicht – wie soll es dann im Ernstfall aussehen? Da zeigt sich eben, wie viel schwieriger es wird, wenn man unter realen Bedingungen arbeitet.
Matthias: Apropos reale Bedingungen. Viele Menschen orientieren sich ja an Hollywood-Filmen wie John Wick. Was sagst du dazu?
Dennis: Ja, das ist eine interessante Frage. John Wick ist natürlich ein cooles Beispiel. Auf YouTube gibt es Millionen Fans, die seine Trainingsvideos feiern. Da sieht alles perfekt aus, die Schüsse sind präzise, die Techniken schnell und sauber. Aber hier ist der Punkt: Das hat nichts mit der Realität eines Polizeieinsatzes zu tun. Wenn ein Polizist eine Waffe auf einen Menschen richtet, dann geht es um Leben und Tod. Da gibt es keine Pappscheiben und keine zweite Chance, wie im Film. Diese Hollywood-Trainings mögen beeindruckend aussehen, aber im echten Leben sind die Anforderungen ganz anders. Man muss sich also fragen: Brauche ich dieses Training für meinen Alltagseinsatz oder will ich nur ein fancy Video für Social Media?
Matthias: Du hast auch von echten Trainingsszenarien gesprochen, die du mitgemacht hast. Kannst du uns ein Beispiel geben?
Dennis: Ja, ein konkretes Beispiel war ein Anti-Amok-Training bei der Bundespolizei. Wir wurden in ein unbekanntes Szenario geschickt – mit echten Stressfaktoren, echten Überraschungen. Da waren auch Leute dabei, die nicht Teil des Teams waren, aber die Führung übernehmen sollten. Einer von ihnen hatte dann diesen „Freeze“-Moment. Er war psychologisch einfach nicht darauf vorbereitet. Plötzlich war er eine Gefahr für uns alle, weil er handlungsunfähig wurde. Wir mussten das Team neu aufstellen und ihn aus dem Szenario nehmen. Solche Freeze-Momente passieren, wenn du nicht richtig trainiert bist. Das zeigt, wie wichtig realitätsnahes Training ist – es geht nicht nur um die Technik, sondern auch um das richtige Mindset.
Matthias: Stichwort „Mindset“. Wie sieht es mit psychologischen Reaktionen wie Tunnelblick und peripherem Sichtfeld aus?
Dennis: Genau, das ist ein entscheidender Punkt. Tunnelblick ist eine physiologische Reaktion auf extremen Stress. Dein Sichtfeld verengt sich, und du siehst nur noch das unmittelbare Ziel. Das Problem ist, dass du dabei viele wichtige Details in der Umgebung übersiehst – zum Beispiel einen Kameraden, der ins Schussfeld läuft. Dein peripheres Sichtfeld wird fast ausgeschaltet, und das ist in einem Einsatz extrem gefährlich. Ein weiterer Punkt ist der Jagdinstinkt. Viele fixieren sich so stark auf das Ziel, dass sie alles andere ausblenden. Statt die Gesamtsituation im Auge zu behalten, verfallen sie in einen „Beuteschema“-Modus, was in komplexen Lagen fatale Folgen haben kann. Diese Reaktionen kann man aber trainieren, indem man immer wieder in realistische Stresssituationen geht und lernt, unter Druck klar zu denken.
Matthias: Ein kontroverses Thema: Können militärische Spezialeinheiten Polizisten sinnvoll trainieren?
Dennis: Das ist wirklich eine Frage, die viele bewegt. Die Antwort ist nicht so einfach. Militärische Einheiten sind auf offensive Taktiken trainiert, ihre Einsätze sind oft auf Angriff und Neutralisierung des Gegners ausgerichtet. Polizisten dagegen arbeiten unter völlig anderen Bedingungen. Ihr Ziel ist Deeskalation und der Schutz von Zivilisten. Natürlich können militärische Trainer technisches Know-how vermitteln, aber das reicht nicht. Sie müssen auch die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen der Polizei verstehen. Ohne dieses Wissen kann das Training schnell an der Realität der Polizeiarbeit vorbeigehen. Es gibt also klare Unterschiede zwischen den Anforderungen im militärischen und im polizeilichen Bereich.
Matthias: Wie wichtig ist es also, dass Einsatzkräfte sich über die Art des Trainings klar werden, das sie buchen?
Dennis: Das ist entscheidend. Bevor man ein Training bucht, sollte man sich fragen: Was brauche ich wirklich? Will ich ein fancy Wochenende mit coolen Bildern, oder möchte ich ein Training, das mir im Ernstfall das Leben retten kann? Das ist eine Frage, die sich jeder stellen sollte. Im Einsatz gibt es keine zweite Chance – wenn du unter Stress versagst, war’s das. Deswegen muss man in Training investieren, das praxisnah ist und dir hilft, unter realen Bedingungen zu bestehen. Schießtraining ist kein Spaß – es ist eine ernste Angelegenheit, die über Leben und Tod entscheiden kann.
Dieses Interview mit Dennis Elrich, geführt von Matthias aus der Social Media Abteilung von Atlas Solutions, bringt auf den Punkt, wie wichtig realitätsnahes Schießtraining ist und welche Fehler oft in der Ausbildung gemacht werden. Es fordert den Leser auf, sich über die Art des Trainings, das er wählt, klar zu werden und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Ein Training, das im Ernstfall Leben retten kann.
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