„Komplexe Einsatzlagen: Realität, Verantwortung und der Unterschied zwischen Trainieren und Können“

Veröffentlicht am 4. Juni 2025 um 13:20

„Komplexe Einsatzlagen: Realität, Verantwortung und der Unterschied zwischen Trainieren und Können“

 

Ein Erfahrungsbericht aus der Ausbildungspraxis – von Dennis Ellrich, Geschäftsführer und Einsatztrainer bei Atlas Solutions Protection & Training GmbH

 

Lebensbedrohliche Einsatzlagen sind kein neues Phänomen. Doch ihre Komplexität hat sich verändert.

Was früher klar strukturiert als Zugriff oder Lage mit Täterprofil A bis C galt, ist heute oft eine undurchsichtige Dynamik aus multiplen Gefahren, mangelnder Lageübersicht, Zeitdruck und emotionaler Unklarheit. Zwischen Gewaltexzess, Täter-Opfer-Verschiebung, Pressepräsenz und Entscheidung unter Beobachtung hat sich der Anspruch an Einsatzkräfte dramatisch verschärft – egal ob Polizist, Soldat, Rettungskraft oder privater Sicherheitsakteur.

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Realität statt Heldentum – was Einsatzkräfte wirklich erwartet

Wer behauptet, man gewöhne sich an die Ungewissheit in lebensbedrohlichen Lagen, war entweder nie richtig drin – oder lügt sich selbst in die Tasche. Die Wahrheit ist: Du funktionierst, oder du versagst. Die entscheidende Frage lautet: Hast du vorher so trainiert, dass du im Moment des Versagens trotzdem noch einen klaren Handlungspfad hast?

 

In einem Szenario, das ich mit meinem Team durchlief – ein sogenanntes „Active Killing“ in einer Gebäudestruktur – haben wir erlebt, wie Training an der Oberfläche versagt, wenn Stress, Lärm, Schüsse und Bewegungsunsicherheit aufeinandertreffen. Was hilft, sind keine Heldenposen oder YouTube-Taktiken. Was hilft, sind abgesprochene Abläufe, echte Kommunikation und das Bewusstsein: Wir sind hier nicht, um zu glänzen, sondern um zu bestehen.

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Ausbildung muss realitätsnäher werden – das tut manchmal weh

Viele Ausbildungsformate kranken an einem Wunsch nach Kontrollierbarkeit. Saubere Bewegungen, idealtypische Lagen, geregelte Abläufe. Doch:

Komplexe Einsatzlagen folgen keinem Skript. Sie überfordern genau dann, wenn du innerlich nach der nächsten „Übungseinheit“ suchst.

 

Unsere Lehre daraus bei Atlas Solutions:

Wir trainieren unsere Teilnehmer nicht in Szenarien – wir trainieren sie auf Reaktion unter maximaler Belastung. Kommunikation im Lärm. Orientierung bei Desorientierung. Entscheidung trotz Unsicherheit.

 

Dazu gehört auch das bewusste Einbauen von Fehlern im Training. Nicht zur Frustration, sondern zur Gewöhnung an den Kontrollverlust. Eine Rückmeldung, die wir regelmäßig erhalten:

„Ich dachte, ich wäre gut. Jetzt weiß ich, wo ich stehe.“

Besser so – als im Ernstfall.

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Ausrüstung: Werkzeug oder Risikofaktor

Wer meint, dass hochwertige Ausrüstung schwache Abläufe kompensieren kann, hat weder das eine noch das andere verstanden.

In der Einsatzrealität ist Ausrüstung Ergänzung, nie Lösung. Schlechte Waffensicherung, mangelhafte Befestigungen, falsche Handschuhe, überladene Westen – all das sind Stressverstärker in dynamischen Lagen.

 

Keep it simple, but functional.

Wir achten im Training darauf, dass jede Ausrüstungsentscheidung begründet werden kann: Funktionalität, Zugänglichkeit, Redundanz. Und vor allem: Kenne dein Setup im Schlaf – sonst bringt es dich in der Nacht um.

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Körperliche Fitness – kein Lifestyle, sondern Notwendigkeit

Viele verwechseln Fitness mit Ästhetik. Aber körperliche Leistungsfähigkeit bedeutet im Einsatz:

 

  1. Beweglichkeit unter Last
  2. präzises Schießen unter Herzfrequenz 180
  3. sicheres Handling trotz Adrenalin
  4. Widerstandsfähigkeit gegen Hitze, Kälte, Lärm, Dunkelheit

 

Körperliche Fitness ist Einsatzfähigkeit. Wer nicht atmen kann, kann nicht denken. Wer nicht denkt, trifft falsche Entscheidungen. Wer falsch entscheidet, gefährdet andere.

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Mindset: Disziplin schlägt Motivation

Du brauchst kein Motivationsposter. Du brauchst ein Mindset, das auch um 03:47 Uhr, nach einem 12-Stunden-Dienst und 3 Stunden Schlaf, noch eine klare Linie fährt.

 

Das bedeutet:

Ich weiß, warum ich hier bin.

Ich kenne meine Rolle im Team.

Ich halte meine Abläufe ein.

Ich akzeptiere keine Ausreden, auch nicht meine eigenen.

 

Ein funktionierendes Team erkennt man nicht am Abzeichen – sondern daran, dass in der Krise keiner laut werden muss.

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Verantwortung beginnt im Training

Lebensbedrohliche Einsatzlagen sind nicht trainierbar in ihrer Gänze. Aber: Man kann Menschen darauf vorbereiten, in ihnen zu bestehen.

Wer diese Verantwortung in der Ausbildung ernst nimmt, schafft keine „Operator“, sondern Menschen, die im Ernstfall die Lage überblicken, mit dem Team funktionieren und leben retten, ohne es nach außen tragen zu müssen.

 

Das ist mein Anspruch.

Das ist unser Ansatz bei der Atlas Solutions.

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Dennis Ellrich

Geschäftsführender Gesellschafter

Atlas Solutions Protection & Training GmbH

www.atlas-community.eu

www.atlassolutions-protection.de 

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Kommentare

Heino Weiß
Vor 15 Tage

Ein gut eingespieltes Team, das auch kommunikativ, taktisch und mental stark ist, erhöht seine Chancen in kritischen Situationen zu bestehen. Viel Erfolg bei deiner Arbeit.